02
Analyse Ist-Zustand
Kapitel 1
Was macht St.Gallen aus?
Kapitel 2
Grünbestand
Kapitel 3
Analyse Biodiversität
Kapitel 4
Wie grün ist St. Gallen wirklich?
Ein Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft
Die Zustandsanalyse 2021 zeigt die konkrete Situation St. Gallens hinsichtlich der globalen Herausforderung von Klimawandel und Biodiversitätsverlust.
Der Blick in die Vergangenheit erklärt die Besonderheiten der Stadt und erlaubt ein neutraleres Verständnis der heutigen Situation. Die übergeordneten Themen Landschaft, Topografie, Stadtgeschichte, Bebauung, Klima, Biodiversität und Tierwelt werden global analysiert. Sie erlauben eine stadtweite Gesamtbeurteilung der Lage und Formulierung von 14 Massnahmen.
Thematische, vertiefte Analysen wie z.B. die Baumanalyse werden in den Massnahmenkapiteln (z.B. Kapitel 4, M1 Bäume) vorgestellt.
Geformt vom Gletscher
Wo vor langer Zeit ein Gletscher den letzten Alpenausläufer schliff.
Entlang der Talsohle St. Gallen erstreckt sich heute ein langes Siedlungsband. Das Hochtal der Steinach liegt auf 660 m ü.M. parallel zum Alpstein und ist das letzte einer ganzen Reihe solcher Paralleltäler, die wellenartig Richtung Bodensee verebben.
Geologisch gesehen ist St. Gallen dadurch zweigeteilt: Während die südliche Flanke noch auf Alpgestein gründet, sind die nördliche Flanke und die Hügel des Mittellands weitestgehend weich. Das Stadtgebiet wird durch Topografie und landschaftliche Zäsuren limitiert. Die starke Bewaldung entlang der tief einschneidenden Gräben Sittertobel, Wattbachtobel, Martinstobel und Galgentobel definieren die Siedlungsgrenzen und gewähren bei deren Einhaltung ein dauerhaft kompaktes Siedlungsbild.
Die Untersuchung der geomorphologischen Karten und die Rekonstruktion der landschaftlichen Situation zur Eiszeit beantwortet städtebauliche Fragen des heutigen Schwarzplans. Durch topografische Gegebenheiten sind ehemalige Dörfer dem Hochtal entlang zusammengewachsen. Die früheren Feuchtgebiete wurden trockengelegt und Bäche eingedolt. Landschaftliche Zäsuren grenzen das Stadtgebiet ein. Gegen Süden haben sich durch topografische Gegebenheiten Siedlungstentakel ausgebildet. Die Erschliessung der besiedelten Hügelflanken nach Norden und Süden macht St. Gallen zur Treppenstadt. Die Verbindung wird jedoch durch die Bahngleise auf der gesamten Stadtlänge zerschnitten.
So könnte St. Gallen einmal ausgesehen haben.
Merkmale der Stadt
Autobahn und Bahn zerschneiden die Stadt.
Eine grosse Herausforderung für St. Gallen ist die lange, schmale Kontur entlang des Tals. Durch diese Form entstand eine eindrückliche Zweiteilung durch Bahn und Autobahn. Die Längszerschneidung führt im Osten und Westen zu schmalen, räumlich isolierten Tranchen.
Möchte man diese Stadtteile entwickeln und verdichten, müssen die Siedlungsfragmente durch neue Querbezüge verbunden werden. Nur der Abschnitt zwischen Blumenbergplatz und OLMA-Areal ist von Hang zu Hang zusammenhängend. «Grünes Gallustal» zeigt ein Konzept auf, wie die ungenügende Quervernetzung durch ein überspannendes Freiraumnetz gelöst werden kann. Zur Stadtreparatur und Raumvernetzung müssten die Autobahn und deren Einfahrten an mehreren Stellen überdacht werden. Zur Überquerung der Bahntrasse braucht es neue Stege.
Treppenstadt
St. Gallen zählt mit rund 13’000 Stufen auf über 120 Treppenläufen zu den treppenreichsten Städten Europas. Diese bilden die Grundstruktur für eine Quervernetzung und bergen ein grosses Potenzial für ein dichtes Wegnetz.
Schafft man es, Querzüge mit Begleitgrün auszubilden, kann man beide Hügel über die Talsohle miteinander verbinden. Bei Bruggen und Haggen bilden allerdings unüberwindbare Bahntrassen und breite Industriestreifen bis zu 960 Meter breite Barrieren. Diese gilt es zu überwinden. Im Städteranking von Avenir Suisse (2018) belegt St. Gallen unter Indikator 4.6 «Erreichbarkeit von Dienstleistungen» Platz 7. Im Kontext Vernetzung erreicht St. Gallen nach Indikator 5.6 «Velofreundlichkeit» auch nur den 7. Platz. Es lohnt sich also zu investieren: Die Grundlagen und Potenziale dafür sind vorhanden.
Stadt in der Landschaft
Die städtebaulichen Situationen verändern sich mit dem lebendigen An- und Abschwellen der Bebauung in Bezug zur landschaftlichen Prägung von Osten nach Westen erheblich.
Die Wasserscheide Kreuzbleiche steckt den westlichen Sitter-Bereich und den östlichen Steinach-Bereich ab. Letzterer ist geprägt durch die Hang-Tal-Beziehung und der dadurch entstehenden landschaftlichen Enge. Hier weitet sich die Siedlung zweisträngig aus und stellt dennoch – der Topografie verdankend – keinen sicht- oder spürbaren Bezug zu den Nachbargemeinden her. Der Sitter-Bereich ist einsträngig verengt, aber breiig besiedelt in einer landschaftlichen Weite. Er ermöglicht durch diese topografische Öffnung einen praktisch übergangslosen Anschluss an die Bebauungen der Nachbargemeinden Gossau oder Abtwil.
Kunsthistoriker und Stadtplaner Edgar Heilig beschreibt die räumlichen und landschaftlichen Gegebenheiten St. Gallens als Leit- und Entwicklungsmotiv für die Stadt: Das Stadtgebiet wird durch Topografie und landschaftliche Zäsuren limitiert. Die starke Bewaldung entlang der tief einschneidenden Gräben Sittertobel, Wattbachtobel, Martinstobel und Galgentobel definiert die Siedlungsgrenzen. Werden sie eingehalten, bleibt dauerhaft ein kompaktes Siedlungsbild bestehen. Ein Überschreiten dieser Grenzen wäre nur mit hohen Verlusten im Stadt- und Landschaftsbild möglich und ökologisch nicht sinnvoll.
Siedlungstentakel zwischen den Hügeln
Im Gegensatz zu Rotmonten, das mit der Hauptsiedlung der Talsohle klar zusammenhängt, scheinen die Verbindungen der Siedlungstentakel Notkersegg, Riethüsli und St. Georgen vage.
Durch eine Stärkung der Strukturen und Verbindungen zwischen Tentakel und Hauptsiedlung über Grünräume wären die Quartiere besser eingebunden und das Stadtbild nachhaltig kompakter. Ein ständiger Bezug zur Landschaft ist im gesamten Stadtgebiet zu gewährleisten, da die Landschaft inmitten der immer schneller wechselnden Bedürfnisse und Anforderungen an unsere Umgebung eine Konstante darstellt.
Von der Lage der Stadt am Wasser ist – trotz der wichtigen historischen Bedeutung der Steinach – durch die Eindolung und Überbauung kaum mehr etwas zu spüren. Die breiteste Stelle der Stadt präsentiert sich in Rotmonten, wo St. Gallen das grösste Siedlungswachstum verzeichnet. Dieses fand erst mit dem Volksnein zur Einzonung des Waltramsberg 2012 ein Ende. In Rotmonten schwappt die Besiedlung bereits über die Krete, während sich das Riethüsli und St. Georgen wie Tentakel vom Hauptkörper abspreizen. Auch die Notkersegg ist ohne Verbindung zur Stadt und wächst mit einer neuen Überbauung noch weiter in den Landschaftsraum hinein.
Wachsender Fussabruck, schwindende Grünstruktur
Konstante Bevölkerung, verdoppelter Gebäudefussabruck
Es gab die politischen Gemeinden Tablat und Straubenzell mit den Dörfern St. Fiden und St. Georgen einerseits, Bruggen und einige Weiler andererseits. Die Dörfer Tablat, St. Georgen und Straubenzell wuchsen allmählich mit der Alt- und Innenstadt zum heutigen Schwarzplan zusammen.
In der Planreihe lässt sich dieser Vorgang rekonstruieren. Während der Gebäudefussabdruck immer weiter wächst, pendelt sich die Einwohnerzahl der ständigen Wohnbevölkerung ein. Zwischen 1910 mit 75’482 Einwohnern und 2010 mit 76’528 Einwohnern wuchs die mit Gebäuden bedeckte Fläche um mehr als das Doppelte (ASS St. Gallen).
1889 - 1901: grosses Wachstum am westlichen Rosenberg, Ausweitung der Innenstadt nach Osten bis St. Fiden und nach Westen bis Kreuzbleiche.
1905 - 1911: deutliche Verdichtung in Lachen, Bruggen und entlang der Langgasse, Entstehung der Siedlung Waldgut hinter der Krete.
Schwindende Grünstrukturen
Die Streuobstwiese auf dem Openair-Areal und die dichten Alleen entlang vieler Strassen am Rosenberg stammen aus der Vergangenheit. Heute müssen Grünstrukturen für extremes Wachstum an den Siedlungsrändern weichen. Seit 1946 sind viele neue Siedlungen entstanden, darunter Bruggen, Wolfganghof, Tablat, Zil, Bruggwald. Der Bildweiher lag einst im Landschaftsraum und ist nun umzingelt von Bausubstanz.
VISUALISIERUNG STEINGRÜEBLI 2010 ⬤ STEINGRÜEBLI HEUTE
VISUALISIERUNG BIRNBÄUMEN 2021 ⬤ BIRNBÄUMEN HEUTE
Gewässeranalyse
Verbannung der Gewässer aus dem Stadtraum
Im Zuberplan von 1828 zeigt sich eine deutliche Präsenz der Steinach im Stadtzentrum. Weitere Gewässer, die – wie die Drei Weieren und der Kreuzbleichekanal – künstlich angelegt wurden, sind auf die Stickerei-Industrie zurückzuführen.
Die Goliathgasse wurde früher im Volksmund «Hoppsgermoos» genannt, weil die feucht-schattige Mooslandschaft offensichtlich amphibienfreundlich war. Die historischen Gewässerkarten zeigen, dass zwischen 1863 und 1880 ein erstes grosses Stück der Steinach im Siedlungsraum eingedolt wurde. Bis 2020 verschwanden nicht nur ein Grossteil der Steinach, sondern auch viele andere, ehemals offene Gewässer aus dem Siedlungsraum, um Bebauungen und Strassen zu weichen. Teilweise wurden Bäche irreversibel stillgelegt und gelten als verloren.
Kein Lebensraum ist derart bedroht wie Bäche, Flüsse, Moore und Feuchtwiesen. Das belegen die Biodiversitätskurven für diese Lebensraumtypen eindrücklich. Ein Aufwärtstrend ist bislang nicht auszumachen. Das ist ein grosses Problem. Denn die Artenvielfalt in Gewässern ist markant höher als in anderen Lebensräumen. Wenn Bäche und Tümpel verschwinden, verlieren wir überdurchschnittlich viele Tier- und Pflanzenarten. Dass der Artenschwund im Wasser rund fünf mal höher ist als an Land, gibt zu denken und ermahnt zum besonders sorgsamen Umgang mit dem aquatischen Lebensraum. Andererseits dürften wir davon ausgehen, dass mit der Wiederherstellung von Lebensräumen an Gewässern (z.B. Revitalisierungen, Ausdolungen, Anlage von Feuchtwiesen, Moorregenerationen, etc.) besonders effektive Artenförderung betrieben wird.
Gewässerentwicklung in der Stadt
Die Stadt St. Gallen hat ein Gewässerentwicklungskonzept ausgearbeitet, das rund 15 Laufkilometer Bachfreilegungen vorsieht. Diese sind in drei Prioritäten nach Bachöffnungs- und Aufwertungspotenzial kategorisiert.
Wichtige naturnahe Gewässer sind die Sitter und die Goldach. Insbesondere die Sitter hat grossen Aufwertungsbedarf. Uferverbauungen begrenzen die Seitenerosion und Lebensraumdynamik, Querbauwerke limitieren die Durchgängigkeit für Wasserlebewesen. Diese Aspekte fehlen im Gewässerentwicklungskonzept noch.
Quermöglichkeiten über Gewässer
Von kleinen Stegen über Bäche bis hin zu imposanten Sitterviadukten: Die Brücken sind für St. Gallen ein wichtiges Motiv. Allein der Sitter-Brückenweg zählt 18 Bauwerke. Mit der kommenden Freilegung von Gewässern werden neue Brücken zum Thema. Die Suche nach einem einfachen, eleganten Design für die vielen kleinen Stege sollte schon heute beginnen.
Baumanalyse
Habitatbäume im Stadtraum
Baum-Mikrohabitate sind wichtige Refugien, Brut-, Überwinterungs- oder Nahrungsplätze. Jede Art lebt vorzugsweise in einem ganz bestimmten Baum-Mikrohabitat.
Die Mulmhöhle ist eines der seltensten Baum-Mikrohabitate in Wirtschaftswäldern, unerlässlich für gewisse spezialisierte Käferarten. Die Biodiversität nimmt mit der Anzahl der Mikrohabitatstypen zu. Nur die dicksten, ältesten Bäume tragen viele Mikrohabitate. Der ökologische Wert eines Baumes nimmt mit steigendem Alter und Durchmesser deshalb exponentiell zu. Wird ein alter Baum gefällt, braucht es Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte, um ihn gleichwertig zu ersetzen.
Wie lange die Entwicklung von Mikrohabitaten dauert, oder wie lange ein Habitat für ein Lebewesen nutzbar ist, ist – wie die Baum-Mikrohabitate selbst – sehr variabel. Auf Englisch zu Recht als vergängliche Ressourcen («ephemeral resource patches») bezeichnet, müssen beim Schwinden eines Habitats die damit verknüpften Organismen zwingend ein ähnliches Habitat in einer für sie erreichbaren Umgebung finden, um zu überleben.
Die Entwicklungsrate von Baum-Mikrohabitaten (BHM) in den gemischten Naturwäldern der Pyrenäen ist etwa doppelt so hoch wie auf Weisstannen. Die Entstehungsrate liegt zwischen 0,82 BMH/ha im Jahr auf Buchen und 0,51 BMH/ha im Jahr auf Tannen. Angesichts dieser niedrigen Entstehungsraten dauert es etwa 100 Jahre, bis ein derzeit genutzter Waldbestand alle im Naturwald potenziell vorhandenen Habitate ausbildet.
Umso wichtiger ist es, bereits heute Habitatbäume zu erkennen und zu erhalten und die Entstehung zukünftiger zu fördern. Je grösser die Habitatbaumdichte ist, desto besser wird die damit verbundene Artenvielfalt gefördert. Nicht mobile, stark spezialisierte Arten benötigen ausserdem eine höhere Habitatbaumdichte als mobile Arten mit geringen Ansprüchen an den Lebensraum. Insbesondere in Wirtschaftswäldern werden mehr Altholzinseln und Habitatbäume benötigt, um die Lebensraumdefizite für Organismen zu mindern, die von Baum-Mikrohabitaten abhängen (Eidg. Forschungsanstalt WSL, n.d.).
Geschützte Bäume und Baumzonen
Nur vereinzelte Gebiete der Stadt St. Gallen liegen gemäss Zonenplan im Baumschutzgebiet. Für Bäume mit mehr als 80 Zentimeter Stammumfang wird eine Fällbewilligung benötigt. Künftig soll das Baumschutzgebiet weiter gefasst werden, um auch den Klimaveränderungen gerecht zu werden. Der Baumschutz ist aber nicht absolut. Im Zuge der Verdichtung werden jedes Jahr zahlreiche Bäume gefällt, auch aus Sicherheitsgründen.
Der Rosenberg beispielsweise verändert sein Gesicht und verliert zusehends seine Parkstruktur zugunsten von Tiefgaragen und Neubauten. Die 157 Habitatbäume sind im Verhältnis zum Siedlungsgebiet von 39,4 Quadratkilometern eine dürftige Zahl und müssen dringend vervielfacht werden. Geeignete Standorte müssen festgelegt werden, um den Bäumen ein langes Leben zu sichern. Neupflanzungen müssen frühzeitig angegangen werden.
Wälder ohne Waldsaum
Es gibt in St. Gallen wenige naturnahe Waldränder. Diese beginnen mit Krautsaum im Kulturland, sind zunehmend mit Sträuchern durchsetzt und enden im gewachsenen Baumbestand. Geschwungene und gebuchtete Waldränder schaffen zusätzliche Lebensräume. Umso mehr, wenn diese in der Höhe abgestuften Waldsäume artenreich und breit angelegt sind.
Wildtiere, Insekten, Kleinsäuger, Vögel und Reptilien finden bei hoher Pflanzendiversität im Krautsaum beste Bedingungen. Die Lebensraumbedingungen in einem natürlichen Waldrand sind extrem vielfältig. Sie sind die Grundlage für die hohe Biodiversität in diesem Übergangsbereich. Diese Flächen sind auch für die Landwirtschaft nicht verloren. Dank der hohen Nützlingsdichte im naturnahen Waldrand kann die Schädlingskontrolle im extensiv landwirtschaftlich bewirtschafteten Umland biologisch erfolgen.
Naturnahe Wäldränder reduzieren zudem das Schadenspotenzial, weil sie starke Winde und Sturmböen abbremsen und ablenken können, im Gegensatz zu schnurgeraden Waldrändern ohne abgestuften Waldrand, bestehend aus Fichten im selben Alter. Ein 3 bis 10 Meter breiter und 2 bis 6 Meter hoher Saum aus Strauchwerk verhindert Windschneisen durch Luftverwirbelungen und schützt die Stämme vor Sonnenbrand. Biologisch besonders wertvoll ist Sukzession im Waldinneren. Bäume dürfen altern und zerfallen, ohne dass der Mensch eingreift. Altholz ist in unseren Wäldern rar, jedoch für totholzbewohnende Insekten und Vögel unverzichtbar. Auch der Feuersalamander versteckt sich gerne unter feuchtem Altholz. Es braucht das gesamte Mosaik an Lebensraumtypen und das Zulassen von Dynamik, damit Lebensgemeinschaften entstehen, die artenreich und deshalb resilient sind. Von natürlicher Walddynamik profitieren sämtliche Spechtarten. Wo zum Beispiel der Schwarzspecht brütet, ist es mit dem Totholzanteil nicht so schlecht bestellt.
Bebauungsanalyse
Gartenstadt, Talstadt und Altstadt
Für Verdichtungsfragen ist die Betrachtung der Bautypologien von grosser Bedeutung. «Grünes Gallustal» fügt dem Zusammenspiel von Bauten und Freiraum die Befestigung durch Strassen hinzu. Die Raumwirkung, das Freiraum- und Ökopotenzial wird so erst sichtbar.
Das Leitbild unterscheidet drei Bebauungszonen und nennt sie zur Vereinfachung Gartenstadt, Altstadt und Talstadt, auch wenn dies einer starken Abstraktion entspricht. Doch je einfacher die Ordnungsgrundsätze und die Lesart sind, desto klarer kann ein Konzept entwickelt werden, in dem auch Ausnahmen Platz haben.
Gartenstadt — Schemapläne an Hang und Flächen
Offene und halboffene Bauweise
Punktbebauung umgeben von Grünraum
Platziert an den Hanglagen Rosenberg und Freudenberg
Die äusseren Siedlungen Osten und Westen, sowie die Siedlungstentakel St. Georgen, Riethüsli und Notkersegg
Altstadt — Schemaplan Altstadtkern
Grüner Ring um die Altstadt
Altstadtplätze
Klosterbezirk
Talstadt — Schemapläne Talachse
Bockrand bei der Innenstadt Ost, z.B. Linsebühl
Bockrand bei der Innenstadt West, z.B. Schibenertor
Stadterweiterungen in geschlossener und halboffener Bauweise
Grünraum geometrisch in die Stadtstruktur eingegliedert, z.B. Alleen und Hofbegrünungen
Grünraum landschaftlich und zentral
Klimaanalyse
Versiegelungsgrad und Hitze
In den letzten 35 Jahren sind die Temperaturen in St. Gallen um 2 bis 3 Grad angestiegen. Das sind fast 1 Grad pro Jahrzehnt. Im Vergleich zum Umland ist die Stadt im gleichen Zeitraum noch heisser geworden, nämlich 4 bis 6 Grad.
Die gesundheitsbelastenden Hitzetage und Tropennächte haben sich mehr als verdoppelt. Der Temperaturunterschied von Hügellage und Tallage ist gross. Im Sommer 2019 erlebte die Stadt 13 Hitzetage (>30°C) und die Notkersegg 6 Hitzetage. Im Tagesdurchschnitt ist es auf Notkersegg 2 bis 3 Grad kühler als im Talboden. St. Gallen weist zwar nicht so viele Tropennächte auf wie Zürich oder Basel. Die Vergleiche sind jedoch nur bedingt gültig, da St. Gallen nur eine mittelgrosse Stadt ist. Dass sie schneller auskühlt als die grösseren Städte, ist auch auf die geografische Höhe zurückzuführen. Dennoch dürften mit Blick auf den sehr hohen Versiegelungsgrad in der Stadt die Hitzetage in den nächsten 20 Jahren um durchschnittlich 2 Grad heisser werden.
Eine physiologische Analysekarte des kantonalen Amtes für Umwelt ermittelt den Versiegelungsgrad pro Hektare und weist wahrscheinliche Hitzeinseln aus. Im Grundsatz gilt: Je höher der Versiegelungsgrad und je weniger Bäume, desto heisser das Gebiet. Insbesondere entlang der Talsohle finden sich sogenannte Hitzeinseln (Hitzekarte, Modellberechnung ohne Abstrahlung von Fassaden oder Kühlung durch allfällige Bäume). Viele sogenannte Hitzeinseln sind dort lokalisiert, wo der Boden am stärksten versiegelt ist (Karte Oberflächenversiegelung). Ganze 26 Prozent der Gemeindefläche sind versiegelt (=10,23 km2 ).
Die heisser werdenden Stadtzentren werden von Menschen an Sommertagen künftig wohl nicht aufgesucht werden. Auch die Bäume werden kämpfen müssen: mit Hitze und Wasserknappheit, da versiegelte Flächen kein Wasser speichern. Bei Starkregen verschärft eine hohe Versieglung die Gefahrensituation. Stark versiegelte Flächen decken sich auch mit den Gefahrenkarten (Gefährdungskarte Oberflächenabfluss). Entsiegelung, Baumpflanzungen und die Ausdolung von Gewässern sind integrale Lösungsansätze.
Sozialraumanalyse
Freiraum- und Spielplatzdefizite
Der «Lebensraum Stadt» dient in erster Linie den Stadtbewohner/innen. Diese haben das Bedürfnis nach schnell erreichbarem, grünem Aussenraum. Bei Kindern ist dieses Bedürfnis stark ausgeprägt. Aus diesem Grund untersucht die Sozialraumanalyse als wichtigsten Punkt die Spielplatzversorgung im Siedlungsgebiet.
Ein Radius von 50 Metern (Luftlinie) gilt für Kinder als «selbständig erreichbar». Alle Kinder, die weiter entfernt wohnen, zählen als ungenügend versorgt und nutzen einen Platz deutlich weniger. Laut Studien steigen die Zahlen von übergewichtigen Kindern, je weiter der Freiraum von ihrem Wohnort entfernt liegt, so Neuropädiater Markus Weissert.
Das Defizit ist gemäss Untersuchung von «Grünes Gallustal» hoch (siehe dazu graue Bereiche auf der Karte Squares). Ein Bruchteil des Siedlungsgebiets ist mit Spielplätzen gut versorgt, der Grossteil ist vom Spielplatzdefizit betroffen und gilt als wenig familienfreundlich. So wie die Familiengartenanlagen in vielen Stadtteilen verteilt sind, sollen auch solche Plätze und Treffpunkte in Quartieren neu geschaffen werden. Die bestehenden Freiraumverbindungen sind oft unterbrochen, obwohl das Potenzial zu einem engmaschigen Verbindungsnetz vorhanden wäre.
Quartierbezogene grüne Freiräume
Im Folgenden werden die quartierbezogenen Freiräume an Beispielen von Quartieren aus der Talachse analysiert. Sie definieren sich durch ihr Angrenzen an ein Quartier und durch ihre Funktionalität und Ausstattung mit Grillstellen, Tischen, Bänken und Spielmöglichkeiten sowie der Hauptnutzung durch die direkten Anwohnerinnen und Anwohner.
Der Grünkorridor (orange) zählt nicht zu den quartierbezogenen Freiräumen, da es sich um einen landschaftlichen Stadtpark handelt und von der gesamten Bevölkerung genutzt wird. Deshalb gelten der Stadtpark, der Klostergarten und die Kreuzbleiche nicht als quartierbezogene Freiräume.
Diese Grafik soll aufzeigen, in welchem Verhältnis die Gebäudefläche, die Fläche aller Strassen und die quartierbezogenen Freiräume mit der Gesamtfläche des Quartiers stehen. Zusätzlich wird bei den Freiräumen in grüne öffentliche (grün) und grüne halböffentliche (hellgrün) Freiräume unterteilt.
Bei der Berechnung sind die öffentlichen Freiräume zu 100 Prozent und die halböffentlichen zu 50 Prozent angerechnet worden. Die restlichen Flächen sind als private Freiräume definiert.
Zwei Beispiele mit grossen Unterschieden
Vernetzungsanalyse
Zentren und Erreichbarkeit
Die Zerschneidung des Stadtkörpers durch Bahn, Autobahn, intensiv befahrene Hauptstrassen und lange Industriestreifen verunmöglicht eine Nord-Süd-Verbindung für Mensch und die meisten Tiere.
Die Wege zwischen Arbeit und Wohnen müssten kurz gehalten und der öffentliche Verkehr ausgebaut werden, um Lärm und Feinstaubemissionen zu mindern. St. Gallen verfügt zwar über fünf Bahnhöfe, in denen Potenzial schlummert, die aber mit Ausnahme des Hauptbahnhofs alle unterentwickelt sind. Betriebe, die auf PKW und LKW angewiesen sind, sollten sich autobahnnah situieren, statt in Stadtnähe. Der Ausbau von Wegen für Fussgänger/innen und Velorouten in Quer- und Längsrichtung ist von grosser Bedeutung.
Die Verschiebung der Dienstleistungsbetriebe an die Stadtränder ohne gut gelegene ÖV-Anbindung führen zu zusätzlichem Verkehrsaufkommen und schlechterer Umweltqualität. An Verkehrshauptachsen wie der Langgasse ist das Problem besonders gravierend. Die Messwerte zeigen, dass – unabhängig von sozialem Status – die Bewohner/innen an der Langgasse statistisch gesehen eine geringere Lebenswartung haben als Bewohner/innen in einem durchgrünten Quartier.
VERNETZUNG HEUTE ⬤ VERNETZUNG ZUKUNFT
Velowege
Das aktuelle Netz weist noch zahlreiche Lücken und Kompromisse auf. Dichter Verkehr, Staus und Rotlichter sowie Rechtsvortritte, spielende Kinder und manövrierende Autos hindern die zunehmend motorisierten Velofahrenden an einem bequemen und raschen Vorwärtskommen. Daher setzt die Stadt künftig auf zwei neue Klassen von Velowegen:
Velostrassen sind umklassierte, speziell signalisierte Quartierstrassen. Zwar herrscht hier weiterhin das Mischverkehrsprinzip. Die Strasse ist jedoch gegenüber Querstrassen vortrittsberechtigt. Velostrassen dürfen nicht durch Begegnungszonen führen.
Veloschnellrouten, auch Velobahnen genannt, sind Strassen exklusiv für Velofahrende, welche eine durchgehende Geschwindigkeit von 30 km/h sowie Überholen ermöglichen. Für den Fussverkehr braucht es ein Trottoir.
Im geplanten Netz finden sich auch kombinierte Velo-Gehwege. Solche werden jedoch von beiden Gruppen wenig geschätzt.
Fusswege
Das heutige Fusswegnetz erstreckt sich über die ganze Stadt. Markant ist die Fussweg-Dichte im Osten und im Zentrum und die Fussweg-Armut im Westen.
Bei Bruggen und Haggen bilden unüberwindbare Bahntrassen und Industriestreifen bis zu 960 Meter breite Barrieren. Diese gilt es zu überwinden. 120 Treppen erschliessen die Hänge. Mit rund 13’000 Stufen über 120 Treppenläufe zählt St. Gallen zu den treppenreichsten Städten Europas. Diese bilden die Grundstruktur für eine Quervernetzung der Stadt und bergen ein grosses Potenzial für ein dichtes Wegnetz. Die Lücken der Querzüge müssen nur noch punktuell geschlossen werden, dann funktioniert der Hügel-zu-Hügelbezug über die ganze Stadt.