Veloschnellroute durch die Stadt

 

Artikel im Tagblatt, 9. Juli 2020

Bildquelle: Stadt St. Gallen

Bildquelle: Stadt St. Gallen

Auf dem Weg zur Velostadt St.Gallen: Bis 2030 sollen Velofahrer auf einer Schnellroute die Stadt durchqueren können – der Weg dorthin ist aber noch lang

St. Galler Tagblatt, Luca Ghiselli

St.Gallen soll eine Velostadt werden, lautet seit Jahren das erklärte Ziel. Ein Mammutprojekt soll dazu beitragen: Auf einer Schnellroute sollen Velofahrer die Stadt bis 2030 vom Bahnhof Winkeln bis ins Stephanshorn durchqueren können. Kostenpunkt: rund 60 bis 80 Millionen Franken.

Der Veloverkehr in der Stadt St.Gallen soll wachsen. Das hat sich der Stadtrat nicht nur in seiner Vision 2030 zum Ziel gemacht, auch das Mobilitätskonzept lässt diesbezüglich wenig Spielraum. Dort ist unter anderem festgehalten, dass sich die Zahl Velowege auf Stadtgebiet bis 2040 verdoppeln soll. Unbestritten ist: Die Infrastruktur muss attraktiver werden, damit vor allem Binnenpendler aufs Zweirad umsteigen. Und da reicht es nicht, nur da und dort mal einen Velostreifen entlang der Hauptachsen zu verbreitern. Es braucht einen «grossen Wurf», und die Pläne für ein solches Mammutprojekt – eine Veloschnellroute quer durch die Stadt – bestehen schon seit geraumer Zeit.

2015 wurde bereits eine Machbarkeitsstudie für den Abschnitt vom Bahnhof Winkeln bis ins Stephanshorn durchgeführt, um eine sinnvolle Linienführung festzulegen. In der Zwischenzeit haben die Verantwortlichen die Veloschnellroute weiterentwickelt und für dieses elf Kilometer lange Grossvorhaben die Etappierung vorgenommen. Aufgrund der Projektreife konnte ein grosser Teil der Vorhaben bereits in den Agglomerationsprogrammen der zweiten und dritten Generation eingegeben werden.

Mit dem Agglomerationsprogramm der vierten Generation, das sich derzeit in der Vernehmlassung befindet, konkretisieren sich die Pläne für eine Veloschnellroute durch die Stadt nun weiter. Primär handelt es sich um den Abschnitt im Westen entlang der Bahnlinie zwischen Haggenstrasse und Zschokkestrasse, welcher nun in das Programm aufgenommen worden ist.

Ein Trassee entlang der SBB-Gleise nur für Velos

Klar ist nun auch die Streckenführung der Schnellroute für Velos: Sie startet am Bahnhof Winkeln und führt der Bahnlinie entlang Richtung Osten. Um die Passierbarkeit zu verbessern, soll der Neuhofweg ausgebaut und die SBB-Sitterbrücke verbreitert werden. Gleichzeitig soll auch der Grünraum aufgewertet werden. Die Schnellroute führt – so der Plan – weiter über die Lehnstrasse, die zur Velostrasse umsignalisiert werden soll. Damit wird die Strasse gegenüber einmündenden Quartierstrassen vortrittsberechtigt.

Von der Haggenstrasse bis zur Zschokkestrasse soll entlang der SBB-Gleise ein Trassee nur für Velos entstehen. Am westlichen Rand der Innenstadt soll die St.-Leonhard-Brücke verbreitert werden und neu komfortabler in Richtung Bahnhof Nord unterquert werden können. Und östlich des Zentrums ist unter anderem eine Passerelle über die Steinachstrasse beim Athletik-Zentrum sowie, ergänzend zum bestehenden Pilotprojekt an der Lindenstrasse, eine Velostrasse entlang der Brauerstrasse bis ins Zil vorgesehen.

Bund übernimmt einen Drittel der Kosten

Im Wesentlichen hängt die Realisierung einer Veloschnellroute durch die Stadt St.Gallen also von einigen Schlüsselprojekten ab. Während für die einen – zum Beispiel für die breitere SBB-Brücke – bereits Bauprojekte vorliegen, bestehen für andere Teilprojekte wie die Passerelle über die Steinachstrasse erst Vorstudien. Im Agglomerationsprogramm der vierten Generation werden die Kosten für die neue Massnahme – das Trassee entlang der SBB-Bahnlinie – auf rund 30 Millionen Franken geschätzt.

Nimmt man die anderen geplanten Massnahmen aus der zweiten und dritten Generation dazu, betragen die Kosten für die Veloschnellroute insgesamt rund 60 bis 80 Millionen Franken. Hinzu kommen Kosten für Abschnitte, die zu einer grünen Achse aufgewertet werden. Erfolgt der Spatenstich bis 2027, übernimmt der Bund einen Drittel der Gesamtkosten. Die übrigen Kosten teilen sich Kanton und Stadt.

Die Veloschnellroute wird abschnittsweise eröffnet

Baudirektorin Maria Pappa sagt: «Der Vorwurf, wir täten zu wenig für die Förderungs des Veloverkehrs, trifft nicht zu.» Man sei seit Jahren an verschiedenen Projekten – sie nennt etwa den Pilot der Velostrasse an der Lindenstrasse und die Radstreifen auf den Hauptachsen.

«Die grösseren Vorhaben kommen nun bald in die Realisierungsphase.» Pappa gibt dabei zu Bedenken: «Kleine Sofortmassnahmen und mittlere Projekte sind genauso wichtig wie diese Schlüsselprojekte. Während wir auf das Grosse hinarbeiten, sind wir auch im Kleinen nicht untätig.»

Stadtingenieur Beat Rietmann ergänzt: «Wir werden die Veloschnellroute abschnittweise eröffnen. Es sind Puzzleteile, die zueinander passen.» So sei beispielsweise vorgesehen, dass die Veloschnellroute in einem ersten Schritt zunächst entlang der Oberstrasse führt, bis die Vision eines Velotrassees entlang der Bahnlinie in Haggen umgesetzt werden könne. Die Stossrichtung sei klar: «Wir wollen Velostadt für alle sein», sagt Rietmann. Bis es so weit ist, bleiben aber Knacknüsse. Gerade an der Steinachstrasse bei Athletik-Zentrum und Kantonsspital ist der Leidensdruck der Velofahrer hoch.

Braucht es deshalb ein Provisorium, bis der grosse Wurf fertig ist? «Die Streckenführung beim Kantonsspital ist eine Herausforderung», sagt Rietmann. Es stellten sich in diesem Kontext unabhängig davon, ob es sich um ein Provisorium oder eine definitive Lösung handle, die gleichen, anspruchsvollen stadtplanerischen und gestalterischen Fragen. Der Stadtingenieur sagt: «Wir sind zuversichtlich, auch an dieser anspruchsvollen Stelle künftig eine gute Lösung zu finden, die sich auch in das stadträumliche Gefüge einpasst.»

Verkehrsverbände fordern rasche Umsetzung

«Sehr stimmig» sei das Gesamtkonzept der Veloschnellroute, sagt Doris Königer, Co-Präsidentin des Verkehrsclubs St. Gallen/Appenzell (VCS). Das Trassee entlang der Bahnlinie von der Haggenstrasse bis zum Zschokkeweg sei ein sehr guter Ansatz, denn er biete Gelegenheit, um die Route zu begrünen und so zwei sprichwörtliche Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.«Es hat sich in anderen Städten gezeigt, dass eine begrünte Route deutlich attraktiver ist», sagt Königer. Nun sei es wichtig, dass die Verantwortlichen der Stadt «nicht nur darüber sprechen, sondern die Vision auch zeitnah in die Tat umsetzen».Die VCS-Co-Präsidentin begrüsst auch, dass zumindest der westliche Teil der Schnellroute in der höchsten Prioritätsstufe behandelt wird. Trotzdem vermisst Königer Mut bei den Verantwortlichen der Stadt: «Gerade an der Steinachstrasse können wir nicht warten, bis sich in zehn Jahren eine Lösung ergibt», ist sie überzeugt. Geht es nach ihr, müsste die Stadt die Höhendifferenz mit einem Provisorium überbrücken. «Das hat im Riethüsli mit der Fussgängerüberführung auch gut geklappt.» Es sei angezeigt, schnell auf Missstände in der Verkehrsführung zu reagieren.

Auch Ruedi Blumer, Präsident des VCS Schweiz, findet das Vorhaben einer Veloschnellroute quer durch die Stadt St.Gallen nötig. «In den Agglomerationsprogrammen sind massenhaft Veloprojekte auf der Strecke geblieben», sagt Blumer. Nun könne man nur hoffen, dass das bei der Velo­schnellroute anders sei. St.Gallen habe in diesem Zusammenhang grossen Nachholbedarf. Das zeige auch das Veloweggesetz, das derzeit in der Vernehmlassung ist. Es sieht vor, dass Schnellroute, Haupt- und Nebenverbindungen eine angemessene Dichte und direkte Streckenführung aufweisen. «Die Schnellroute soll sicher, ununterbrochen und komfortabel sein. So kann man am meisten Binnenpendler zum Umsteigen animieren.» Heute hingegen sei das Problem, dass das St.Galler Velonetz lückenhaft sei. Und: «Die Schnellroute müsste längst da sein.»

Auch Pro Velo St.Gallen/Appenzell die Pläne für eine Schnellroute durch die Stadt. «Wir sind sogar Feuer und Flamme dafür», sagt Michael Städler, Verantwortlicher für die Infrastruktur bei Pro Velo. Eine solche Schnellroute durch die Stadt sei elementar und es sei richtig, dass sie zumindest in Teilen der obersten Priorität im Agglomerationsprogramm zugeordnet worden sei. «Wir hoffen, dass diese Priorisierung dazu beiträgt, die Massnahmen fristgerecht umzusetzen.» Bedauerlich sei hingegen aus Sicht von Pro Velo, dass es der östliche Teil nicht in die Priorität A geschafft habe. Denn: «Gerade zwischen Museum- und Lindenstrasse besteht auch Handlungsbedarf.»