Den alten Stadtgraben reparieren
Artikel im Tagblatt, 10. Juli 2020
Auf dem Oberen Graben in St.Gallen ist eine Busspur überflüssig: Die Stadt prüft, ob das eine Chance für zusätzliche Bäume ist
Am westlichen Rand der St.Galler Altstadt wird zwischen Schibenertor und Schützengasse eine Busspur überflüssig. Der Heimatschutz schlägt vor, am Oberen Graben, rund um den Broderbrunnen und im ersten Abschnitt der St.-Leonhard-Strasse bis zu 90 neue Bäume zu pflanzen. Die Stadt prüft die Idee.
St. Galler Tagblatt, Reto Voneschen
St.Gallen ist die Stadt im grünen Ring. Wenn Politiker und Festredner davon schwärmen, meinen sie die Wiesen und Wälder auf den Hügeln rund um die Stadt. Es gibt aber auch noch einen zweiten grünen Ring. Er zieht sich dort um die Altstadt, wo einst der Graben der mittelalterlichen Stadtbefestigung lag.
Das fünf bis sechs Meter breite Hindernis unmittelbar vor der Stadtmauer wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugeschüttet. Die Eigentümer erhielten die Auflage, dass die neuen Landparzellen als Gärten zu nutzen seien und nicht überbaut werden dürften. Schon um 1900 nahm aber der Entwicklungsprozess seinen Anfang, der dieses Schutzstatut und den grünen Ring auf dem ehemaligen Stadtgraben löchrig werden liess.
Den alten Stadtgraben reparieren
Der Heimatschutz St.Gallen/Appenzell Innerrhoden möchte Gegensteuer geben. Er will den grünen Ring um die Altstadt reparieren. Für den Abschnitt vom Schibenertor über den Broderbrunnen bis zur Schützengasse hat er eine Projektidee entwickelt, aufgrund derer bis zu 90 Bäume neu gepflanzt werden könnten. Am Dienstag haben Lokalhistoriker Laurenz Hungerbühler und Architektin Regula Geisser auf einer Führung diese Vision vorgestellt.
Der Grundgedanke ist einfach: Statt den durch den Wegfall einer Busspur frei werdenden Raum «nur» für die Verbreitung der Trottoirs einzusetzen, die Asphalt-Landschaft also einfach zu erneuern, schlägt der Heimatschutz vor, einstiges Grün zurückzuholen. Was auf den ersten Blick wie eine Schnapsidee wirkt, ist zwar ein mit vielen wenn und aber gespicktes Vorhaben, aber durchaus realistisch.
Wegfall einer Busspur kreativ nutzen
Die Grundlage dafür legt der Wegfall der Busspur zwischen Schibenertor und Schützengasse durch die Neuorganisation des Bahnhofplatzes und die damit verbundene Reorganisation von VBSG-Linien. Damit die Pläne zwischen Grabenpärklein und Haus Union umgesetzt werden können, wäre allerdings eine weitere Voraussetzung nötig: Die Bushaltestelle Poststrasse in müsste an die Bahnhofstrasse verlegt werden.
Diese Eigentrassierung des öffentlichen Verkehrs auf der Bahnhofstrasse bewirkt nicht nur eine Vergrösserung des Grabenpärkleins. Sie stellt auch die Schlüsselmassnahme dar, um das Schibenertor zu entlasten. Die Bahnhofstrasse würde zur allgemeinen ÖV-Achse zwischen Bahnhof- und Marktplatz. Der ÖV müsste keine Haken mehr schlagen und auch weniger Lichtsignale passieren.
Die Verlegung des ÖV auf die Bahnhofstrasse ist angedacht. Dies, weil die Poststrasse derzeit ein eigentliches Nadelöhr zwischen Bahnhof und Bohl ist. Vorgesehen ist im Moment nur eine Teilverlegung. Die Umsetzung ist mit dem Rechtsverfahren zur Aufhebung der Parkplätze auf der Bahnhofstrasse allerdings schon im Gang.
Vorstudie liegt zur Prüfung bei der Stadt
Das Projekt «Baumboulevard Oberer Graben» ist inzwischen auch für die Stadt mehr als nur eine lustige Idee. Der Heimatschutz hat der Stadt eine vom Büro «Geisser Streule Inhelder (GSI) Architekten» erstellte Konzeptstudie zur Verfügung gestellt. Da sie an der Idee interessiert ist, liegt jetzt bei der Baudirektion eine vertiefte Vorstudie zur Prüfung. Ungefähr bis Ende Jahr soll geklärt werden, ob und wie die Heimatschutz-Idee aufgegriffen werden kann. Regula Geisser jedenfalls ist optimistisch, dass «die Stadt den Ball aufnimmt». Wenn das nicht der Fall sein sollte, müsse man sich überlegen, ob und was man politisch tun wolle, hiess es an der Führung vom Dienstag auch.
1. Platz Schützengasse
Die Freifläche wurde vor Jahren neu gestaltet. Über den gelben Bodenbelag, den massiven «Blumentopf» aus Beton für einen der verbleibenden Bäume und die futuristischen, aber nicht unbedingt bequemen Sitzbänke wird seither diskutiert. Der Heimatschutz will das «Restgrün» mit neuen Bäumen ergänzen und zum Eingang zum «Baumboulevard Oberer Graben» machen.
2. St.-Leonhard-Strasse
In den 1970er-Jahren entstand durch den Bau des Bürohauses auf der linken Strassenseite eine der wenigen «Strassenschluchten» St.Gallens. Der Heimatschutz möchte die optisch wenig ansprechende Fassadensituation mit einer Baumreihe links und rechts der Strasse aufbrechen.
3. Umfeld Broderbrunnen
1998 hat das Stadtparlament eine Vorlage für eine attraktive Gestaltung des Brunnenumfelds versenkt. 388000 Franken waren ihm damals zu viel dafür. Die heutige, ausgesprochen öde Lösung kostete dann 177000 Franken. Der Heimatschutz will den alten Fehler endlich mit einem Pärklein und viel Grünsubstanz korrigieren.
4.Oberer Graben
Zwischen UBS und Neugass-Durchbruch sollen die Spuren für den Autoverkehr nach links verschoben werden. Der freie Streifen, der so zwischen den beiden Fahrbahnen und dem Trottoir entsteht, will der Heimatschutz begrünen. So könnte die grösste am Oberen Graben klaffende Lücke im grünen Ring geschlossen werden.
5. Vorfeld Geschäftshaus Oberer Graben 12/14/16
Der einst als Garten gestaltete Vorplatz des Geschäftshauses Oberer Graben 12/14/16 zwischen Waisenhausstrasse und Oberem Graben wurde vollständig ausgeräumt. Er dient heute als Parkplatz, Verkehrsfläche und Entsorgungsstelle. Der privaten Parkplatz könnte mit Bäumen aufgelockert, die Terrasse auf der südlichen Stirnseite des langgezogenen Gebäudes grün aufgewertet werden.
6. Bushaltestelle Poststrasse
2011 wurden die Poststrasse und die gleichnamige ÖV-Haltestelle neu gestaltet. Der Heimatschutz möchte die Haltestelle und damit die Buslinien Richtung Marktplatz an die Bahnhofstrasse verlegen. Damit könnte die Betonspur zurückgebaut und könnten dem Grabenpärklein bis zu 250 Quadratmeter Fläche zurückgegeben werden. Die Eigentrassierung des öffentlichen Verkehrs auf der Bahnhofstrasse ist eine zentrale Massnahme, um auch das Schibenertor zu entlasten. Der ÖV muss so keine Haken mehr schlagen und auch weniger Lichtsignale passieren.
7. Haus Union
Der Heimatschutz möchte die Fahrspuren vor dem Geschäfts- und Wohnhaus Union aufheben. Voraussetzung ist die Verlegung des ÖV von der Poststrasse her zum Marktplatz auf die Bahnhofstrasse. Vor der «Union» entstünde ein nach Westen von den heutigen Platanen begrenzter Platz. Richtung Marktplatz soll die Baumreihe quer über die Strasse fortgesetzt werden und zusammen mit den heute schon auf dem Marktplatz stehenden Platanen einen zusammenhängenden Grüngürtel bilden.
8. Zwischen «Seeger» und «News»
Der heute auf sechs Spuren - drei in jede Richtung - verteilte Motorfahrzeugverkehr soll neu auf dem Abschnitt des Oberen Grabens zwischen den Cafés Seeger und News konzentriert werden. Und zwar Richtung Poststrasse auf der heutigen Busspur, von der Poststrasse Richtung Schibenertor (zum Blumenbergplatz und zum Unteren Graben) auf zwei Spuren.